Wo Hoffnung und Inspiration wächst Andi Haller über das Experiment Selbstversorgung im Kleinwalsertal
Vor vier Jahren hat Andi Haller (36) noch Kicker im Snowpark gebaut, heute sind es öfter Hochbeete. Er legt Mischkulturen an, entwickelt permakulturelle Gärten und gräbt die gängigen Vorstellungen um, wie ein unabhängiges nachhaltiges Lebens auszusehen hat. Er hat sich aus ganzem Herzen dem Experiment Selbstversorgung verschrieben und so entsteht in Mittelberg ein Permakultur-Waldgarten. Autark zu sein, heißt für ihn und seine Freundin Alex aber nicht, sich abzugrenzen, sondern mit der Gesellschaft alternative zukunftsfähige Wege zu finden, die für jeden gangbar sind. Die Philosophie der Permakultur lässt ihn optimistisch in die Zukunft blicken. Seine Leidenschaft ist ansteckend und so gibt es nicht nur im Kleinwalsertal reihenweise neue Gärtner.
Du hast in Mittelberg einen Permakultur-Waldgarten angelegt, was genau muss man sich darunter vorstellen?
Mittlerweile sind es ca. 2.000 qm, auf denen ich ca. 100 verschiedene Pflanzen, also Gemüse, Obst, Beeren, Kräuter und Heilpflanzen anbaue. Der Wald ist Vorbild – in seiner Funktionsweise, weil er sich komplett selbst organisiert, aber auch in seinem Erscheinungsbild. Womöglich entspricht der Garten nicht den gängigen Vorstellungen, wie ein Garten auszusehen hat – es wächst alles etwas wilder, das Gras darf wachsen, es gibt Stein- und Altholzhäufen. Die Natur ist Profi in allem was sie macht, die Permakultur versucht die natürlichen Prozesse und Lebensräume zu verstehen und sie dann zu kopieren.
Das Kleinwalsertal bietet nicht unbedingt die einfachsten klimatischen Voraussetzungen, warum hast du dich trotzdem genau hier auf den Garten und das Projekt Selbstversorgung eingelassen?
Ich habe nur sehr kurz mit dem Gedanken gespielt, nach Südeuropa abzuhauen. Aber ich bin im Walsertal daheim. Wenn ich in Spanien gärtnern sollte, würde ich jetzt mit dir spanisch sprechen… Meine Vorfahren waren technologisch weit schlechter ausgestattet und haben es auf die Reihe bekommen, dann schaffe ich das auch. Zwar ist die verbreitete Meinung im Tal, dass bei uns in der Höhenlage und mit so einer kurzen Wachstumsperiode das nicht funktionieren kann. Aber ich sehe das vielmehr als Herausforderung. Ich lehne mich bewusst aus dem Fenster und experimentiere viel, um herauszufinden, was alles möglich ist. Ich bin überzeugt, dass man für alles, oder zumindest für sehr viele Pflanzen, die idealen Voraussetzungen schaffen kann. Bei der Permakultur bzw. eigentlich für jeden Garten, ist es wichtig, dass man Mikroklimazonen etabliert. Das heißt, ich versuche Strukturen zu schaffen mit Hügeln, Ecken, Kurven und Kanten, damit Nischen entstehen, die den Ansprüchen der jeweiligen Pflanze gerecht werden.
Wie ist die Idee für den Garten entstanden?
2011 lag ich mit einem gebrochenen Wirbel im Krankenhaus. Da hast du viel Zeit, dich und dein Leben zu hinterfragen. Dann passierte auch noch Fukushima, das hat mich gleichermaßen wütend und traurig gemacht. Mir wurde klar, dass ich selber einen Beitrag leiste, dass solche Dinge in der Welt passieren. Ich habe angefangen zu recherchieren, wie ich Eigenverantwortung übernehmen und aus solchen Kreisläufen ausbrechen kann. Ich bin dann sehr schnell auf die Selbstversorgung und Permakultur gestoßen, weil ich an der Basis anfangen wollte, unserem existenziellen Grundbedürfnis: der Ernährung.
Was fasziniert dich so an der Permakultur?
Sie macht mich unabhängiger und lässt mich ein selbstbestimmteres Leben führen. Letztendlich geht es mir aber nicht nur um die Herstellung meiner eigenen Nahrungsmittel, sondern darum, meinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Wenn wir so weitermachen wie bisher, hinterlassen wir den nächsten Generationen eine katastrophale Lebensgrundlage. Das kann und will ich nicht einfach hinnehmen. Permakultur ist für mich ein Weg, mit dem wir extrem viel Gutes bewegen können. Außerdem ist sie die natürlichste Form der Kulturlandschaftspflege. Als in den 70er Jahren die Industrialisierung der Landwirtschaft immer kuriosere Auswüchse annahm, hat das Kind dann einen Namen bekommen. Das Prinzip der Permakultur wälzt die Verantwortung aber nicht auf die Landwirte ab, sondern lässt sich auf alle Lebensbereiche anwenden.
Warum hast du dich aber gleich für die Selbstversorgung entschieden und wie autark bis du heute?
Vor dem Wirbelbruch habe ich fünf Sommer auf der Alp verbracht. Da lernst du sehr schnell, was du wirklich brauchst, um glücklich zu sein. Wenn du die größte innere Zufriedenheit durch Dinge erfährst, die kein Geld kosten, stellt sich für mich die Frage, was fange ich mit meiner Zeit an? Natürlich bin ich auch nicht frei von Verpflichtungen, aber das läuft sehr selbstreflektiert ab. Mir geht es auch nicht darum, mich 99 Prozent des Jahres selbst zu versorgen, sondern dass meine Leistung keine großen Umwege macht und ich weniger Zeit in eine Arbeit stecke, von der ich im schlimmsten Fall nicht wirklich überzeugt bin. Im Sommer können Alex und ich uns zu 70 bis 80 Prozent aus dem Garten ernähren und wir versuchen möglichst viel haltbar zu machen. Aber genau so gern verschenken wir Sachen an Freunde, Familie und Menschen, die es wertzuschätzen wissen. Im Idealfall bereiten wir damit nicht nur eine Freude, sondern geben Impulse und regen zum Nachdenken an.
Was hat dich der Garten gelernt?
Heute ist alles sehr kurzlebig, bei der Gartenarbeit kann man aber nicht in Zeitfenstern von ein paar Stunden oder Tagen denken, es geht immer saisonal und sogar um Jahre (Obstbäume). Das ist super, um sich in Geduld zu üben und du lernst automatisch wieder im Rhythmus mit der Natur zu leben. Gerade bei uns, wo wir vier Jahreszeiten haben, gibt es da definitiv einen Zusammenhang mit der eigenen Leistungsfähigkeit. Mich fasziniert auch immer wieder, wie geschmacksintensiv, die Sachen schmecken und wie viel mehr Energie in ihnen steckt. Wenn wir einen Suppeneintopf komplett aus dem Garten machen, dann bist du mit einem Teller wirklich satt und das nicht nur für zwei Stunden.
Was müssen wir als Konsumenten erkennen?
Viele Menschen habe keine Vorstellung mehr, wie ihre Nahrung überhaupt produziert wird. Jeder Lebensmittelskandal hält uns das wieder vor Augen. Wer sich damit auseinandersetzt, dem wird bewusst, dass wir nur ein kleines Rad in einem riesigen Organismus sind. Wir treffen jeden Tag zahlreiche Entscheidungen, die einen Unterschied machen können. Bei jedem Einkauf haben wir die Wahl – vertrauen wir bei unserer Ernährung, der Grundlage unserer Existenz, großen Konzernen, die mit dem Motiv des Profits handeln und der muss bekanntlich jedes Jahr größer werden, dass die Qualität dann langfristig weniger wird, liegt auch auf der Hand. Oder übernehmen wir selbst Verantwortung, steigen um auf Bio-Produkte, unterstützen den benachbarten Bio-Bauern oder fangen wir an, uns selbst zu versorgen.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Ich wünsch mir, dass sich die Sichtweise der Kulturlandschaft ändert. Dass nicht jeder nur sein eigenes kleines Reich sieht, sondern den Lebensraum als Ganzes. Die Pflege der Kulturlandschaft geht alle an, nicht nur die Landwirte. Ich wünsche mir, dass sich jeder Gedanken macht und überlegt, welchen Beitrag er leisten kann, damit auch die Lebensgrundlage der Generationen nach uns gesichert wird.